Ein verletzter Igel. Eine Entscheidung. Und die Frage nach Verantwortung.
Er lag einfach da. In einer Einkaufsbox, welche man im Auto meist dabei hat.
Zusammengerollt. Blut am Schnäuzchen. Kein sichtbarer Bruch, keine offenen Wunden. Aber auch kein Fluchtreflex, keine Bewegung. Nur Atmung. Und Stille.
Freunde hatten ihn mir gebracht. „Da liegt ein Igel – macht nix mehr.“ “Weisst Du, wo man einen Igel töten lassen kann“
Ich schaute ihn an. Und mein Herz schlug schneller. Nicht, weil ich wusste, was zu tun ist – sondern, weil ich es nicht wusste. Ich sagte, “ich kümmere mich”. Ich sah die Erleichterung, obwohl ein großer Wille zur Hilfe da war. Sie hat ihn ja von der Straße aufgelesen, da war viel Mitgefühl. Sie hat wohl schon 3 Igel aufgelesen und immer zum Arzt gebracht. Dort wurde dann untersucht, und ein Röntgenbild gemacht und festgestellt, dass das Rückrat gebrochen war “nur noch Matsch” und erlöst.
Da war er nun, dieser kleine wilde Schatz. Absolut ausgeliefert. Ich holte gleich ein Handtuch und bettete ihn sanft und begann zu recherchieren. Es war natürlich mitten in der Nacht. Es gibt Seiten über Igelnothilfe und ich habe auch mit Chat GPT nachgefragt. Die Empfehlung, bei Blut aus der Schnauze, sofort zum Tierarzt.
Natürlich hätte ich ihn sofort zum Tierarzt bringen können.
Das ist das, was man tut.
Was die meisten tun.
Was man „soll“.
Aber ich hielt inne.
Ich betrachtete den Igel, der gut gebettet auf seinem Handtuch lag. Ich sprach mit ihm, betete für ihn und gab ihm Energie von meinen Händen. Da wachte er auf, schnupperte und verkroch sich tiefer in das Handtuch. Ich nahm ihn mit in mein Zimmer, um zu hören, wenn etwas sein sollte und ging auch schlafen. Ich wachte nachts auf, da er nestelte in seinem Handtuch. Ich sprach mit ihm und es wurde wieder ruhig.
Morgens packte ich ihn einmal aus, um nachzusehen, ob er noch lebt. Ja – das tat er, aber er rollte sich gleich ein. Er wollte das also nicht. So habe ich einen vorbereiteten Karton mit Küchenrolle ausgelegt und ihn dort hineingelegt. Diesen Karton in die Box und eine Wasserschale dazu und ihn an einen ruhigen, zugluftfreien Ort gestellt, neben meinem Schreibtisch. Damit ich immer mitbekomme, wenn etwas sein sollte. Schon nach kurzem hörte ich nestelte Geräusche, welche mich schmunzeln ließen. Er bewegt sich also und er macht es sich bequem. Ich finde, das sind gute Zeichen.
Was aber über allem schwebte: die große Frage.
Ist das richtig, was ich tue?
Oder verweigere ich Hilfe?
Bin ich überheblich – weil ich nicht den Weg gehe, den man geht?
Oder bin ich einfach nur bereit, auszuhalten, dass ich nicht alles weiß – und trotzdem da bin?
Ich habe mich entschieden, zunächst mal nicht zum Arzt zu gehen.
Nicht aus Gleichgültigkeit.
Sondern aus Achtung und einem Gefühl heraus, dass dieses Tier mehr braucht als eine Spritze – nämlich einfach Ruhe und Würde.
Vielleicht war das falsch.
Vielleicht hätte ein Tierarzt helfen können.
Vielleicht hätte er ihn erlöst.
Vielleicht hätte er ihn getötet.
Aber wer entscheidet, was richtig ist und was falsch ist?
Wer trägt die Verantwortung, wenn es um Leben und Tod geht?
In diesem Fall ich.
Und das war das Schwerste.
Verantwortung fühlt sich nicht gut an.
Sie fühlt sich an wie ein Gewicht, das man nicht abgeben kann.
Wie ein Mitgehen ohne Garantie.
Wie ein stilles Aushalten, das nichts beweisen muss – aber alles bedeutet.
Meine Kinder sagten: „Nicht leiden lassen.“
Ich verstehe sie.
Wir alle wollen, dass Schmerz aufhört. Da wurde mir klar, es geht nicht um das Sterben, sondern um den Schmerz. Denn in der Natur, ohne dass wir ihn gefunden hätten, wäre er auch einfach seinen Weg gegangen auch wenn es sterben ist.
Es kann sein, dass der kleine Schatz auch hier stirbt, dass er Verletzungen hat, von denen er sich nicht erholt. Ich röntge ihn nicht. Ist dann schneller sterben besser. Wo man alles nochmal untersucht und das Stress ist. Ich beginne über diese Dinge nachzudenken und möchte sie gerne mit Euch teilen. Ich merke, da gibt es kein richtig und kein falsch, es gibt nur Entscheidungen, welche gut abgewägt getroffen wurden und mir wurde klar, nicht das Sterben ist der Parameter, sondern das Leiden und der Schmerz
Es wird sicher Menschen geben, die sofort wissen, was richtig uns was falsch ist, zumindest meinen sie es. Ich will es ihnen nicht absprechen. Vor allem je mehr Erfahrung man hat, desto bessere Entscheidungen kann man treffen, da man die verschiedenen Ausgänge schon erlebt hat.
Ich weiß nicht, ob es richtig war.
Aber ich bin da. Ich spreche mit ihm, wenn er wach ist.
Und das ist es, was ich diesem kleinen stacheligen Wesen geben kann.
Vielleicht stirbt er in Ruhe und Würde
Vielleicht erholt er sich und wird wieder ganz fit und gesund. Das würde mich natürlich sehr freuen. Ich nehme es so, wie es kommt. Es war nur spannend, die Verantwortung zu spüren, die ich übernommen hatte. Wäre ich zum Arzt, dann hätte ich sie sofort abgegeben. Aber dann beginnt einfach auch die Maschinerie, der Arzt muss untersuchen und Entscheidungen treffen. Ist das immer besser? Ja – es ist die Fachkraft. Es ist auf alle Fälle akzeptiert – ja – man hat alles Mögliche getan. Aber ist alles Mögliche das Richtige. Wie gesagt, es ist nicht zu beantworten, aber ich finde es spannend, genau darüber nachzudenken. Ich habe Verantwortung übernommen, es kann falsch oder richtig sein, aber wer will schon bewerten, was es ist. Der einzige, der das könnte, wäre der kleine Igel. Ich versuche, mit ihm zu kommunizieren. Und das war das, was mich innehalten ließ.
Nun tippe ich diese Zeilen und betrachte die Box neben mir und danke mal wieder diesem Geschenk, was die Natur mir gegeben hat. Zum einen für diesen kleinen Schatz da sein zu dürfen und auch diese Gedanken, die es ausgelöst hat und ich wieder etwas tiefer gesunken bin in unsere Welt in unserem Inneren.
Und wie gesagt, dies soll kein Aufruf sein, mit einem verletzten Wildtier nicht zum Arzt zu gehen. Ich habe auf meinen Instinkt gehört, habe genau hingesehen, recherchiert und dann gefühlt und Kontakt zum Tier aufgenommen, was er denn gerne hätte und das kam dabei raus. Es kann bei einer neuen Begegnung ganz anders sein. Aber sich die Zeit zu nehmen, hinzuspüren, den Mut auch Entscheidungen zu treffen, die man eigentlich nicht macht, darum geht es mir. Beim nächsten Mal kann es ganz anders sein. Mir geht es darum, wieder selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich kann Euch gerne auf dem Laufenden halten, wie es dem Kleinen geht.
Ich poste jeden Tag die Neuigkeiten von dem kleinen “Findus” so wurde er von meinen Kindern genannt, da er ja gefunden wurde auf meinem Telegram-Kanal: Ich poste hier den Link, wenn Du schauen willst: t.me/StrahleMenschKanal
Hast Du auch schon Igelerfahrungen? Berichte gerne
Viele Grüße Heike Engel
14 Antworten
Liebe Heike
Ich bin ganz berührt von Deinen Worten, irgendwie ist es mir so, als ob ich ganz ruhig und leise sein möchte, um Euer Heiliges nicht zu stören. Danke fürs Teilen. Andrea
Liebe Andrea, immer wieder wacht er mal auf, richtet sich anders hin und schläft dann wieder tief und fest. Danke für Deine liebe Rückmeldung – viele Grüße Heike
Danke für diesen berührenden Bericht. Habe einmal einen kleinen Wildhasen, dessen Mutter auf der
Stra0 ihr Leben ließ mitgenommen. Ihn mit Milch alle 3 Stunden Tag und Nacht gefüttert. Er ging später mit mir in den Park, er folgte mir auf jeden Schritt. Als es dann Frühling wurde habe ich ihn an eine Stelle
nahe eines Dorfes frei gelassen. Hatte dort schon mehrmals Wildhasen gesehen.
Es war eine schwere Entscheidung, da ich nicht wusste, ob er aufgenommen wird, allein überleben kann.
Es ist schon mehr als 35 Jahre her, aber ich denke immer noch an ihn und bin sehr dankbar für dieses Geschenk.
Liebe Waltraud, vielen Dank für diese wunderschöne Geschichte – wow – hast Du ihn nochmals gesehen? Ja – das sind schwere Entscheidungen, aber Du hast sie aus einer wunderbaren inneren Haltung heraus getroffen, das ist zu spüren. Er hat durch Dich eine Chance auf Leben bekommen, welche er sonst nicht gehabt hätte. So berührend! Und das glaube ich Dir gern, dass Du noch an ihn denkst. Das sind Erlebnisse, die sind Teil von einem selbst. Das macht etwas mit einem – es berührt etwas in uns und bringt Dinge zum Klingen, welche versteckt waren. Ich spüre das jetzt schon. Es ist eine Verbindung. Dir alles Liebe Heike
Liebe Heike,
ich kenne diese Verantwortung. Ich kann dich verstehen. Wie geht es ihm denn? Lebt er noch?
LG Regina
Hallo liebe Regina, oh tut gut zu wissen nicht allein zu sein, mit all diesen Gedanken. Es geht ihm eigentlich immer besser. Er hat heute Nacht schon richtig rumgenestelt, dass ich beschlossen habe, ihn nun aus der Kiste rauszunehmen und habe ihn mit “seiner Kartonhöhle” in meinen derzeit verwaisten Hühnerstall zu geben. Der ist sehr groß und dann kann er sich heute Nacht ausleben, natürlich mit Futter und Wasser. Ganz fit ist er noch nicht, aber ich bin sehr glücklich zu sehen, wie er sich da wieder rausgerappelt hat. So kann ich ihn Stück für Stück wieder zurück in die Freiheit begleiten. Ich erzähle auch immer auf Telegramm dazu in meinem Kanal: t.me/StrahleMenschKanal Liebe Grüße Heike
Liebe Heike,
ich bin sehr berührt von dieser Geschichte! Ein kleines verletztes Tier aufnehmen, um ihm Gelegenheit zu geben, in Ruhe und Würde zu heilen oder zu sterben. Da kommen mir die Tränen. Und dadurch wird mir bewusst, wie wenig oder gar nicht unser Alltag von Ruhe und Würde geprägt ist. Zu Deiner Entscheidung gehört Mut. Ich hätte ihn vermutlich nicht aufgebracht, wäre sofort bei meiner Unwissenheit gelandet. Je nachdem wie der Tierarzt agiert hätte, wäre ich erleichtert oder betroffen gewesen und hätte mir im Nachhinein tausend Gedanken gemacht. Dem anderen Respekt und Würde entgegenbringen, Verbindung aufnehmen und (aus)halten, mit Bauch und Herz entscheiden und handeln, einen sicheren Raum bereitstellen und halten. So miteinander umzugehen, das ist ein Wert, der mir verdeutlicht wurde. Alles Liebe für Dich und Findus!
Liebe Gabriele, danke für diese wundervolle Rückmeldung und sei nicht so hart zu Dir, Du weisst es erst, wie Du reagierst, wenn es so weit ist. Wenn Dich diese Geschichte berührt, wer weiß, wie Du reagiert hättest.…. Vielleicht klingt die Geschichte in Dir, falls Du auch in eine Situation kommst, die Mut erfordert. Mut bedeutet aber auch nicht, dass immer alles gut ausgeht, und auch das muss man aushalten, ohne in die Schuld zu gehen. Ich finde es sehr spannend, sich mit all diesen Emotionen auseinanderzusetzen und ihnen auf den Grund zu gehen (zumindest so weit mir möglich). Da muss ich mich bei Findus bedanken. Ich möchte in einer Welt leben, in dem Respekt, Würde und den anderen sehen (egal ob Mensch, Tier, Pflanze) Grundwerte sind. Wir tun doch alle was dafür! Dir auch alles Liebe – viele Grüße Heike
Liebe Heike,
danke für Deine Worte! Meine Einschätzung über meine vermutliche Handlungsweise ist schon realistisch. Sie kommt daher, dass ich durch religiöse Erziehung in der Kindheit und einer knapp 45jährigen Berufserfahrung in der Anwendung von Gesetzen und Verordnungen geprägt bin zum Weisungsempfänger. Ich bin also schnell dabei, mich daran zu orientieren, was vorgeschrieben ist, wer es besser weiß als ich etc. Mir ist wieder einmal klar geworden, woher ich komme und dass ich mich rausentwickeln kann hin zu Selbstermächtigung und Eigenverantwortung und dass das verknüpft ist mit Respekt und Würde. Sehr spannend, was so ein kleiner Igel alles in Gang gesetzt hat. Wir sind halt alle miteinander verbunden. Liebe Grüße Gabriele
Liebe Gabriele – Deine Worte lassen mich jubeln und ich werde es Findus ausrichten, was er alles in Bewegung gesetzt hat. Genau darum geht es – und dafür gehe ich und gebe ich alles, dass wir Menschen immer mehr in die Selbstermächtigung und Eigenverantwortung kommen. Ich kann Deinen Weg so nachvollziehen, ich komme auch da her und habe einen intensiven Weg hinter mir. Alles Liebe Heike
Liebe Heike,
Danke für das Teilen dieses wundervollen Erlebnisses, das mich so tief berührt.
Entscheidungen die wir aus dem Herzen treffen, können immer nur richtig sein. Glücklicher Weise bin ich inzwischen auch so weit, daß ich nicht mehr auf die Meinungen von Anderen höre. Es ist nicht immer leicht Selbstverantwortung zu übernehmen und oft kommen dann auch Selbstzweifel daher.
Ich hätte wohl genau so gehandelt wie Du. In dem Moment, als er auf die heilende Energie reagiert hat, hätte ich auch gewußt, daß er sich noch nicht aufgegeben hat und eine reale Chance auf die Aktivierung seiner Selbstheilungskräfte verdient hat. Kümmern ja aber ein Schritt weit loslassen gehört auch zu einer wichtigen Lebenserfahrung die erst gelernt werden muß. So finde ich die Idee, Findus in den Hühnerstall zu bringen genial. Es ist ja ein Wildtier und fühlt sich in unserer menschlichen Umgebung mit all unserer Energie vermutlich auch nicht ganz so wohl. Wie auch immer die Geschichte mit Findus ausgehen mag, habe ich das Gefühl, daß Du alles richtig gemacht hast.
Zum Thema Schmerzen und Tiere aus den Qualen erlösen, sprich töten, habe ich meine ganz persönliche Meinung. Ich leide seit etwa 40 Jahren, mal mehr mal weniger unter Beinschmerzen und mein Körper lehnt jegliche Schmerzmittel ab. An einem weniger guten Tag( vor ca20Jahren), mein Pferd lahmte, Tierarzt gerufen und ich sollte mit meinem Pferd losrennen, meinte der Tierarzt spontan: Wenn SIE ein Pferd wären, hätte man sie schon längst eingeschläfert. Natürlich hat er sich anschließend für diese flapsige Äußerung entschuldigt aber daraus entwickelte sich ein philosophisches Gespräch darüber, wer, wie und warum überhaupt entschieden werden kann oder sollte, wann ein Todesurteil gefällt wird und was ist überhaupt Lebensqualität?
Liebe Grüße Gabi
Liebe Gabi,
das, was Du schreibst, ist so wichtig – und ja, genau diese Gedanken schwingen auch bei mir mit. Ich übertrage all das immer auf uns Menschen. Die Natur ist unser Spiegel.
Nicht ohne Grund biete ich gemeinsam mit meiner Freundin, der Kommunikationsexpertin Andrea Sam, Online-Abende an, in denen wir genau diesen Raum öffnen: für Mitgefühl, für Erkenntnis, für Heilung.
Wir tragen so oft den Impuls in uns, erlösen zu wollen – nur nicht leiden lassen. Doch wie Du sagst: Wer von uns müsste dann nicht auch erlöst werden? Und wer fragt die Menschen, ob sie das überhaupt wollen würden?
Wer nimmt sich das Recht, über ein anderes Wesen zu entscheiden – außer dieses Wesen selbst?
Ich finde es wunderschön, dass Findus uns genau diese Möglichkeit gegeben hat: ein Feld zu öffnen, in dem wir hinschauen dürfen. In dem wir fühlen, fragen und lernen – über das Leben, den Schmerz und das Loslassen.Danke Dir für Deine Antwort und alles Liebe Heike
Liebe Heike,
als ich in Deinem heutigen Newsletter das Bild von Findus sehen durfte hat sich ein schier grenzenloses Glücksgefühl in meinem ganzen Körper ausgebreitet. Danke
Liebe Grüße Gabi
Liebe Gabi, so ging es mir auch! So lieb, dass Du Dich so mitfreust. Es geht ihm wirklich gut und er stromert durch die Gegend. Ist immer noch jede Nacht auch mal hier. Viele Grüße Heike