Die meisten Leute sehen Wildpflanzen im Garten als Problem. Ich sehe in ihnen das Paradies.
Ich lebe mit Pflanzen, die andere als störend empfinden: Brennnessel, Giersch, Vogelmiere, Gundermann. Die Liste ist lang – und wunderschön. Was viele mit Wurzelstecher und Gift bekämpfen, darf bei mir wachsen, blühen, summen, heilen und nähren. Mein Garten ist kein aufgeräumter Zierfriedhof, sondern ein wilder, lebendiger Ort voller Kraft. Und doch: Ich habe auch meine Ecken, die ich mir ganz bewusst gestalte.
Zwischen Kontrolle und Hingabe
Ich liebe meine Gemüsebeete. Dort wachsen Tomaten, Salate, Zucchini. Ich erobere mir bewusst kleine Inseln: ein paar Reihen, ein Beet, eine Weinlaube. Ich pflanze, ziehe vor, jäte, mulche. Ich genieße die Ernte. Ich gestalte – aber ich kämpfe nicht.
Denn rundherum darf es wild sein.
Ich brauche kein „entweder-oder“. Mein Garten lebt vom „sowohl-als-auch“. Vom Dialog zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Planung und Überraschung. Die kultivierten Beete geben Struktur, die wilden Zonen bringen Seele. Zusammen ergibt das eine Landschaft, die mich trägt – jeden Tag.

Die Brennnessel als Königin
Wenn ich eine Pflanze herausheben müsste, dann wäre es die Brennnessel. Sie ist für mich das Sinnbild dessen, was wir verlernt haben zu sehen: Lebenskraft. Widerstand. Nährstoffreichtum. Tiefe Verbindung zum Boden. Kein anderes „Unkraut“ wird so oft bekämpft und gleichzeitig so unterschätzt. Dabei schenkt sie uns alles: Eiweiß, Eisen, Chlorophyll, Mineralien, Heilwirkung und sogar Fasern für Kleidung.
Sie ist ein Superfood im besten Sinne – nur eben kostenlos, wild und manchmal unbequem.
Unbequem, weil sie uns brennt. Weil sie nicht fragt, ob wir gerade barfuß unterwegs sind oder einen gepflegten Eindruck hinterlassen wollen. Sie ist da. Und sie bleibt, wenn man sie lässt. Ich lasse sie.
Ich ernte sie. Ich koche mit ihr. Ich trinke sie als Tee. Ich streichle sie innerlich und danke ihr dafür, dass sie mir zeigt, wie man auch in widriger Umgebung kraftvoll wachsen kann.

Wild ist nicht gleich verwildert
Was viele als „verwildert“ bezeichnen, ist in Wahrheit das Gegenteil von Verfall. Es ist pure Lebenskraft. Es sind Pflanzen, die genau dort wachsen, wo sie gebraucht werden. Brennnesseln zeigen oft nährstoffreichen Boden. Vogelmiere kommt, wenn etwas in Heilung gehen darf. Giersch breitet sich aus, wo Bewegung nötig ist.
Ich lese meinen Garten wie ein lebendiges Buch. Jede Pflanze spricht – wenn man zuhört.
Natürlich, ich setze auch Akzente. Ich richte mir lauschige Plätze ein, lege Wege an, umarme die Weinlaube mit Licht. Aber ich halte nichts von Krieg gegen das Wilde. Ich arbeite mit ihm. Und das ist der Unterschied.
Mein Garten als Spiegel
Ich glaube, mein Garten spiegelt das Leben. Da ist Raum für Struktur – und für Entfaltung. Für Disziplin – und für Überraschung. Für geordnete Reihen – und wuchernde Freude. Ich brauche beides. Mein Garten darf beides sein.
Er schenkt mir Nahrung, Heilung, Erdung, Rituale und unendlich viele kleine Wunder. Aus Giersch mache ich Pesto, aus Löwenzahn Honig, aus Schafgarbe Tee. Ich könnte fast das ganze Jahr über von dem leben, was andere achtlos ausreißen.
Die Brennnessel begleitet mich dabei wie eine Verbündete. Sie schützt, sie nährt, sie heilt. Und sie erinnert mich immer wieder daran: Wer sich wehrt, hat oft besonders viel zu geben.
Eine Einladung zum Umdenken
Ich schreibe diese Zeilen weil ich zeigen will, dass es geht: ein Garten jenseits der Konvention, ein Leben mit Wildpflanzen, eine neue Beziehung zur Natur – mitten im Alltag.
Vielleicht ist mein Garten nicht „ordentlich“ im herkömmlichen Sinne. Aber er ist stimmig. Kraftvoll. Wahrhaftig. Und genau darin liegt seine Schönheit.
Ich wünsche mir mehr solcher wilden Paradiese. Orte, an denen die Brennnessel Königin sein darf. Wo der Giersch nicht bekämpft, sondern verkostet wird. Wo Kinder mit der Vogelmiere spielen, statt über Rasenmäher zu lernen, was „erwünscht“ ist.
Denn wenn wir aufhören, gegen das Wilde zu kämpfen, fangen wir an, das Leben wirklich zu spüren.
Zum Schluss noch ein Bild von einer weiteren mir sehr wichtigen Herzenspflanze, welche vielen Gärtnern ein Grauss ist und ich liebe den Löwenzahn so sehr. Er ist meine Frühjahrskur, stärkt meine Zähne, bringt meinen Stoffwechsel in Schwung und zaubert mir und den Insekten so viel kostbare Nahrung.
In großer Dankbarkeit und Verbundenheit zur Natur, welche mich umgibt – Heike

2 Antworten
Liebe Dein Text ist ein schöner Aufruf, den Garten anders zu sehen – mit mehr Offenheit und weniger Kontrolle. In Imeinem Garten sehe ich das genauso – die wilden Pflanzen gehören einfach dazu. Ich denke oft daran, wie viele Insekten auf genau sie angewiesen sind – wie die Raupen auf die Brennnessel. Und die Vorstellung, dass daraus später Schmetterlinge werden, ist für mich ein echtes Geschenk.
Wie schön, dass Du das auch so siehst! Ja, genau das berührt mich auch immer wieder – dieses stille Zusammenspiel zwischen Pflanze, Raupe und Schmetterling. Es zeigt so eindrücklich, wie viel Leben in einem wilden Garten steckt. Danke fürs Teilen! 🌿🦋