Zwischen Beet und Brennnessel – Mein Garten lebt beides

Die meis­ten Leu­te sehen Wild­pflan­zen im Gar­ten als Pro­blem. Ich sehe in ihnen das Paradies.

Ich lebe mit Pflan­zen, die ande­re als stö­rend emp­fin­den: Brenn­nes­sel, Giersch, Vogel­mie­re, Gun­der­mann. Die Lis­te ist lang – und wun­der­schön. Was vie­le mit Wur­zel­ste­cher und Gift bekämp­fen, darf bei mir wach­sen, blü­hen, sum­men, hei­len und näh­ren. Mein Gar­ten ist kein auf­ge­räum­ter Zier­fried­hof, son­dern ein wil­der, leben­di­ger Ort vol­ler Kraft. Und doch: Ich habe auch mei­ne Ecken, die ich mir ganz bewusst gestalte.

Zwischen Kontrolle und Hingabe

Ich lie­be mei­ne Gemü­se­bee­te. Dort wach­sen Toma­ten, Sala­te, Zuc­chi­ni. Ich erobe­re mir bewusst klei­ne Inseln: ein paar Rei­hen, ein Beet, eine Wein­lau­be. Ich pflan­ze, zie­he vor, jäte, mul­che. Ich genie­ße die Ern­te. Ich gestal­te – aber ich kämp­fe nicht.

Denn rund­her­um darf es wild sein.

Ich brau­che kein „ent­we­der-oder“. Mein Gar­ten lebt vom „sowohl-als-auch“. Vom Dia­log zwi­schen Ord­nung und Cha­os, zwi­schen Pla­nung und Über­ra­schung. Die kul­ti­vier­ten Bee­te geben Struk­tur, die wil­den Zonen brin­gen See­le. Zusam­men ergibt das eine Land­schaft, die mich trägt – jeden Tag.

Brennnessel Mai (c) Heike Engel
Brenn­nes­sel Mai © Hei­ke Engel

Die Brennnessel als Königin

Wenn ich eine Pflan­ze her­aus­he­ben müss­te, dann wäre es die Brenn­nes­sel. Sie ist für mich das Sinn­bild des­sen, was wir ver­lernt haben zu sehen: Lebens­kraft. Wider­stand. Nähr­stoff­reich­tum. Tie­fe Ver­bin­dung zum Boden. Kein ande­res „Unkraut“ wird so oft bekämpft und gleich­zei­tig so unter­schätzt. Dabei schenkt sie uns alles: Eiweiß, Eisen, Chlo­ro­phyll, Mine­ra­li­en, Heil­wir­kung und sogar Fasern für Kleidung.

Sie ist ein Super­food im bes­ten Sin­ne – nur eben kos­ten­los, wild und manch­mal unbequem.

Unbe­quem, weil sie uns brennt. Weil sie nicht fragt, ob wir gera­de bar­fuß unter­wegs sind oder einen gepfleg­ten Ein­druck hin­ter­las­sen wol­len. Sie ist da. Und sie bleibt, wenn man sie lässt. Ich las­se sie.

Ich ern­te sie. Ich koche mit ihr. Ich trin­ke sie als Tee. Ich streich­le sie inner­lich und dan­ke ihr dafür, dass sie mir zeigt, wie man auch in wid­ri­ger Umge­bung kraft­voll wach­sen kann.

Wild ist nicht gleich verwildert

Was vie­le als „ver­wil­dert“ bezeich­nen, ist in Wahr­heit das Gegen­teil von Ver­fall. Es ist pure Lebens­kraft. Es sind Pflan­zen, die genau dort wach­sen, wo sie gebraucht wer­den. Brenn­nes­seln zei­gen oft nähr­stoff­rei­chen Boden. Vogel­mie­re kommt, wenn etwas in Hei­lung gehen darf. Giersch brei­tet sich aus, wo Bewe­gung nötig ist.

Ich lese mei­nen Gar­ten wie ein leben­di­ges Buch. Jede Pflan­ze spricht – wenn man zuhört.

Natür­lich, ich set­ze auch Akzen­te. Ich rich­te mir lau­schi­ge Plät­ze ein, lege Wege an, umar­me die Wein­lau­be mit Licht. Aber ich hal­te nichts von Krieg gegen das Wil­de. Ich arbei­te mit ihm. Und das ist der Unterschied.

Mein Garten als Spiegel

Ich glau­be, mein Gar­ten spie­gelt das Leben. Da ist Raum für Struk­tur – und für Ent­fal­tung. Für Dis­zi­plin – und für Über­ra­schung. Für geord­ne­te Rei­hen – und wuchern­de Freu­de. Ich brau­che bei­des. Mein Gar­ten darf bei­des sein.

Er schenkt mir Nah­rung, Hei­lung, Erdung, Ritua­le und unend­lich vie­le klei­ne Wun­der. Aus Giersch mache ich Pes­to, aus Löwen­zahn Honig, aus Schaf­gar­be Tee. Ich könn­te fast das gan­ze Jahr über von dem leben, was ande­re acht­los ausreißen.

Die Brenn­nes­sel beglei­tet mich dabei wie eine Ver­bün­de­te. Sie schützt, sie nährt, sie heilt. Und sie erin­nert mich immer wie­der dar­an: Wer sich wehrt, hat oft beson­ders viel zu geben.

Eine Einladung zum Umdenken

Ich schrei­be die­se Zei­len weil ich zei­gen will, dass es geht: ein Gar­ten jen­seits der Kon­ven­ti­on, ein Leben mit Wild­pflan­zen, eine neue Bezie­hung zur Natur – mit­ten im Alltag.

Viel­leicht ist mein Gar­ten nicht „ordent­lich“ im her­kömm­li­chen Sin­ne. Aber er ist stim­mig. Kraft­voll. Wahr­haf­tig. Und genau dar­in liegt sei­ne Schönheit.

Ich wün­sche mir mehr sol­cher wil­den Para­die­se. Orte, an denen die Brenn­nes­sel Köni­gin sein darf. Wo der Giersch nicht bekämpft, son­dern ver­kos­tet wird. Wo Kin­der mit der Vogel­mie­re spie­len, statt über Rasen­mä­her zu ler­nen, was „erwünscht“ ist.

Denn wenn wir auf­hö­ren, gegen das Wil­de zu kämp­fen, fan­gen wir an, das Leben wirk­lich zu spüren.

Zum Schluss noch ein Bild von einer wei­te­ren mir sehr wich­ti­gen Her­zens­pflan­ze, wel­che vie­len Gärt­nern ein Grauss ist und ich lie­be den Löwen­zahn so sehr. Er ist mei­ne Früh­jahrs­kur, stärkt mei­ne Zäh­ne, bringt mei­nen Stoff­wech­sel in Schwung und zau­bert mir und den Insek­ten so viel kost­ba­re Nahrung. 

In gro­ßer Dank­bar­keit und Ver­bun­den­heit zur Natur, wel­che mich umgibt – Heike

2 Antworten

  1. Lie­be Dein Text ist ein schö­ner Auf­ruf, den Gar­ten anders zu sehen – mit mehr Offen­heit und weni­ger Kon­trol­le. In Imei­nem Gar­ten sehe ich das genau­so – die wil­den Pflan­zen gehö­ren ein­fach dazu. Ich den­ke oft dar­an, wie vie­le Insek­ten auf genau sie ange­wie­sen sind – wie die Rau­pen auf die Brenn­nes­sel. Und die Vor­stel­lung, dass dar­aus spä­ter Schmet­ter­lin­ge wer­den, ist für mich ein ech­tes Geschenk.

    1. Wie schön, dass Du das auch so siehst! Ja, genau das berührt mich auch immer wie­der – die­ses stil­le Zusam­men­spiel zwi­schen Pflan­ze, Rau­pe und Schmet­ter­ling. Es zeigt so ein­drück­lich, wie viel Leben in einem wil­den Gar­ten steckt. Dan­ke fürs Teilen! 🌿🦋

Schreibe einen Kommentar zu Sadhana Kraus Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Newsletter

Trage dich hier in den Newsletter ein und erhalte regelmäßig Impulse über Naturerlebnisse, Pflanzenportraits, Rezepte aus Wildpflanzen u.v.m.:

Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.