Wenn Blüten zum Nachdenken führen

Die Robinie, das Etikett „Neophyt“ – und unser menschlicher Drang, alles zu bewerten

Ich bin auf dem Weg zum Pilz­coach­tref­fen am Wer­bel­lin­see und habe in Bit­ter­feld am Goitz­sche­see Halt gemacht. Was für eine wun­der­schö­ne Gegend. Schon bei der Fahrt war ich fas­zi­niert von den vie­len Robi­ni­en, wel­che hier wach­sen. Durch ihre wun­der­schö­ne Blü­te sind sie nicht zu über­se­hen. So vie­le Robi­ni­en. Ich set­ze mich immer mit dem aus­ein­an­der was mir begeg­net, denn es hat immer eine Bedeu­tung. Also wand­te ich mich ganz der Robi­nie zu. 

Ich lie­be ihren wun­der­vol­len Duft. Die Robi­ni­en ste­hen in vol­ler Blü­te, so üppig, dass man das Laub kaum noch sieht. Die Bie­nen tan­zen im Licht. Ich blei­be ste­hen. Atme. Und spü­re, wie etwas in mir still wird.

Ein Moment in der Fül­le. Und doch ist da plötz­lich die­ser Gedanke:

Die­se Bäu­me – sie gehö­ren nicht hierher.

Woher kommt das?


Die Robinie – eine Pflanze mit Stempel

Robi­nia pseu­do­a­ca­cia.
Ein Baum, der aus Nord­ame­ri­ka stammt.
Im 17. Jahr­hun­dert nach Euro­pa gebracht.
Man woll­te sie – wegen ihres Hol­zes, ihrer Zähig­keit, ihrer Fähig­keit, Böden zu hal­ten und zu verbessern.

Und heu­te?
Steht sie auf Lis­ten.
Denn die Robi­nie gilt als Neo­phyt, genau­er: inva­si­ver Neo­phyt.

Was das heißt?

Ein Neo­phyt ist eine Pflan­ze, die nach 1492 – dem Jahr, in dem Kolum­bus Ame­ri­ka erreich­te – zu uns kam und sich in der frei­en Natur ver­brei­tet hat.
„Inva­siv“ bedeu­tet, sie könn­te ande­re ver­drän­gen, Lebens­räu­me verändern.

Und so steht sie heu­te – trotz all ihrer Schön­heit, ihrer Fül­le, ihrer Nek­tar­träu­me – unter Beob­ach­tung. Als wäre sie ver­däch­tig, wie so manch ande­re Pflan­ze auch – aber blei­ben wir bei der Robinie.


Wer legt eigentlich fest, was dazugehört?

Ich blei­be an die­sem Begriff hän­gen: Neo­phyt.
Ein ein­zi­ges Wort.
Und plötz­lich ent­schei­det es, ob eine Pflan­ze hier sein darf – oder ob sie nicht hei­misch ist.

Wer legt das fest?
Und wozu?

Viel­leicht war sie schon ein­mal hier.
Viel­leicht wan­der­te sie wei­ter, bevor wir über­haupt begon­nen haben, bewusst wahr­zu­neh­men, was wo wächst.

War­um brau­chen wir die­se stän­di­gen Bewer­tun­gen? – in Du darfst hier sein und Du nicht.


Natur wandert – immer

Die Robi­nie ist nicht „von hier“.
Aber sie ist auch nicht ein­fach zufäl­lig hier.

Pflan­zen wan­dern. Seit jeher.
Mit dem Wind. Mit den Vögeln. Mit den Menschen.

Die Natur kennt kei­ne star­ren Gren­zen.
Sie ver­än­dert sich – immer.
Nicht in Zustän­den – son­dern in Prozessen.

Wo nack­te Erde ist, bleibt nichts leer.
Da kom­men die Ers­ten. Die, die fül­len.
Pio­nier­pflan­zen nennt man sie. Ich fin­de das ein schö­nes Wort. Es sind Eroberer.

Natur lässt nichts leer. Sie will das nicht. Nack­te Erde wird bedeckt. 

Was für ein Kon­trast zu uns.
Wie oft las­sen wir etwas offen. Räu­me. Bezie­hun­gen. Gefüh­le.
Wir hal­ten zurück und fül­len nicht die lee­ren Räu­me, wäh­rend drau­ßen alles wächst.


Unser Drang, einzuordnen

Wir Men­schen wol­len ein­ord­nen.
Hei­misch oder fremd.
Gut oder schlecht.
Nütz­lich oder störend.

Es gibt uns Sicher­heit.
Ein Gefühl von Kon­trol­le.
Aber das Leben lässt sich nicht kategorisieren.

Und Natur schon gar nicht.
Sie ist ein­fach und damit ist alles gesagt.
Ob sie uns gefällt oder nicht. Aber schon das Wort gefal­len öff­net neue Räu­me, wem gefällt was und warum?


Zwischen Bewertung und Beobachtung

Ich sage nicht, dass alles unpro­ble­ma­tisch ist.
Auch die Robi­nie ver­än­dert. Sie nimmt Raum. Sie beein­flusst.
Aber es geht mir nicht um rich­tig oder falsch.

Es geht um die­ses reflex­haf­te Eti­ket­tie­ren.
Um das Bedürf­nis, gleich ein Urteil zu fäl­len.
Ein Stem­pel, der dann hängenbleibt.

Nicht alles, was anders ist, ist gefähr­lich.
Und nicht alles, was sich aus­brei­tet, ist bedrohlich.

Viel­leicht brau­chen wir weni­ger Stem­pel – und mehr Auf­merk­sam­keit.
Weni­ger Kate­go­rien – und mehr Hinschauen.


Ich nehme mich da nicht aus

Auch ich bewer­te. Oft schnel­ler, als ich will und mir lieb ist.

Ger­ne wür­de ich sagen, ich bin da aus­sen vor, aber dem ist nicht so. Auch ich bewer­te. Jedoch freue ich mich, wenn es mir auf­fällt. Dank­bar betrach­te ich mei­ne Bewer­tung und erfor­sche die Ursa­chen. Das ist sehr span­nend. Ich kann ste­hen­blei­ben. Den Blick wei­ten und ein­fach mal genau­er hinsehen.

Das braucht Zeit. Und das ist heu­te ein knap­pes Gut.
Kost­bar und doch fin­de ich, dass genau die­ses Erfor­schen und Ergrün­den und nicht das schnel­le dar­über­hu­schen das Leben erst wirk­lich tief und wert­voll macht für mich.


Was wäre, wenn wir einfach nur hinschauen?

Die Robi­nie blüht.
Ohne Erlaub­nis.
Ohne Absicht.
Ohne Kon­zept.

Sie nimmt Raum. Da, wo Platz ist.
Sie fragt nicht: Passt das? Bin ich erwünscht?

Wir tun das.
Wir stel­len uns die­se Fra­gen stän­dig.
Und wenn wir das Gefühl haben, beur­teilt zu wer­den –
las­sen wir inner­lich die Äst­chen hängen.

Der Natur ist das egal.
Sie lebt einfach.


Ein Moment genügt

Ich ste­he unter die­sen Bäu­men.
Die Luft duf­tet. Die Welt ist weich geworden.

Und ich spü­re:
Ich muss das nicht ein­ord­nen.
Nicht ent­schei­den.
Nicht auf­lö­sen.

Ich darf ein­fach nur wahr­neh­men.
Da sein.

Viel­leicht beginnt genau hier eine neue Haltung:

Nicht alles sofort zu klas­si­fi­zie­ren.
Son­dern Raum zu las­sen –
für das Leben. Für das Wer­den.
Für das, was nicht ins Sche­ma passt –
und trotz­dem genau rich­tig ist.

Und viel­leicht dür­fen wir das auch auf uns selbst über­tra­gen.
Und auf­ein­an­der.

Was denkst Du?
Was macht die­ser Gedan­ke mit Dir?

Ich freue mich, wenn Du mir einen Kom­men­tar dalässt.
Vie­le Grüße

Hei­ke Engel

Magst Du noch ein lecke­res Rezept aus den wun­der­vol­len Blü­ten, dann schau ein­fach hier vorbei!

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