Neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Freundin, das mich ins Stolpern gebracht hat. Nicht wegen ihr – sondern wegen dem, was in mir angestoßen wurde. Ich fühlte mich plötzlich … wertlos. Ein Stich ins Herz, was mich verstummen lies.
Das Bemerkenswerte: Ich konnte es ihr sagen. Ohne Vorwürfe, ohne Drama. Denn wir haben etwas sehr Klaren in unserer Freundschaft verankert – ein Fundament: Keine von uns will der anderen jemals schaden.
Wir meinen es immer gut miteinander. Das ist nicht naiv – das ist bewusst gewählt. Denn wir führen oft tiefe Gespräche, berühren persönliche Themen, und genau da lauern sehr oft die persönlichen Trigger, von welchen wir uns Stück für Stück verabschieden möchten.
So kam es, dass wir bei einem unserer Gespräche auf drei Begriffe gestoßen sind:
Wert, Einzigartigkeit und Selbstwert.
Ich habe nun viel über diese drei Wörter nachgedacht. Nicht oberflächlich – sondern so, wie ich es liebe: tief, ehrlich, durchfühlend. Was bedeuten sie, was steckt dahinter, und ich möchte meine Gedanken mit Euch teilen. Vielleicht erkennst Du Dich in manchen Momenten wieder. Vielleicht sind es auch Themen, die in Deinem Leben gerade wichtig sind. Ich glaube, wir wachsen, wenn wir uns den echten Fragen des Lebens stellen. Und genau diese drei Begriffe sind es, welche unter Anderem für mich zur Essenz gehören. Es gibt noch andere Wichtige, aber die beleuchte ich dann ein anderes mal.
1. Jeder Mensch ist einzigartig – das ist ein Fakt, kein Gefühl
Wir sagen oft: „Jeder Mensch ist einzigartig.“ Und meistens klingt es wie ein Kompliment. Aber es ist kein Kompliment – es ist ein biologischer, psychologischer, philosophischer Fakt.
Einzigartig – biologisch gesehen
Nicht einmal eineiige Zwillinge sind gleich. Sie haben denselben genetischen Bauplan – und trotzdem beginnt die Abweichung früh. Sie wachsen im Mutterleib nicht identisch. Schon dort entstehen Unterschiede in der Versorgung, in der Position, im Erleben. Später verändern Epigenetik und Erfahrungen ihr Wesen noch weiter.
Zwei eineiige Zwillinge können unterschiedlich krank werden, unterschiedlich lieben, unterschiedlich glauben. Warum? Weil Erleben den Menschen formt. Und das Erleben ist immer individuell – selbst im selben Kinderzimmer.
Einzigartig – durch Prägung und Geschichte
Stell Dir zwei Kinder vor, die in der gleichen Familie aufwachsen. Gleiche Eltern, gleiche Regeln, gleiche Schule. Und doch erlebt jedes Kind diese Welt auf seine Weise.
Das eine wird sensibler, das andere rebellischer. Das eine zieht sich zurück, das andere sucht Aufmerksamkeit. Nicht, weil das eine „schlechter“ oder „besser“ ist – sondern weil jeder Mensch mit seinem eigenen inneren Kompass auf diese Welt trifft.
Was Du geglaubt hast, was Du geträumt hast, woran Du zerbrochen bist – all das macht Dich zu einer Person, die so noch nie existiert hat und nie wieder existieren wird.
Einzigartig – im Ausdruck
Deine Stimme. Deine Handschrift. Die Art, wie Du ein Lächeln andeutest. Wie Du nachdenkst, schweigst, gehst, atmest, fühlst, liebst.
Es gibt Menschen, die erinnern uns an andere. Aber niemand ist identisch. Nicht in der Tiefe. Nicht in der Seele.
Und das ist mehr als schön – es ist kostbar. Denn in einer Welt, die oft Vereinheitlichung will, ist Deine Einzigartigkeit ein Akt von Wahrhaftigkeit.
Und doch vergessen wir das oft
Warum eigentlich? Warum glauben wir manchmal, wir müssten mehr sein? Oder anders?
Weil wir uns vergleichen. Weil wir angepasst wurden. Weil die Schule, die Gesellschaft, die Werbung uns vermittelt: Es gibt ein Ideal. Eine richtige Form von Frau, von Mensch, von Erfolg.
Aber das ist eine Lüge. Eine gefährliche.
Denn wenn Du Dich anpasst, verlierst Du Dich.
Wenn Du Dich aber erinnerst, dass Du einmalig bist – dann beginnt etwas in Dir zu leuchten, das kein anderer Mensch zum Leuchten bringen kann.
2. Wert – Was bin ich wert? Und für wen?
Das Wort „Wert“ klingt so fest, so objektiv.
Als gäbe es da eine universelle Skala, auf der wir gemessen werden können.
Doch das stimmt nicht. Wert ist nicht objektiv messbar – er ist immer eine Frage des Zusammenhangs, der Perspektive, des Blicks.
Ein Beispiel:
Ein uralter Löffel aus Holz – für den einen ein wertloses Stück Müll. Für die andere ein Erinnerungsstück an die Oma. Für den Sammler ein Schatz.
Der Löffel hat keinen festen Wert. Er bekommt ihn – durch Bedeutung.
Und so ist es mit uns Menschen auch.
Gesellschaftlicher Wert – Leistung, Nutzen, Oberfläche
Unsere Gesellschaft hat ihre eigene Formel für Wert:
Wer viel leistet, ist viel wert.
Wer schön ist, ist mehr wert.Wer gute Noten schreibt, ist viel wert
wer die meisten Verkäufe hat, wird extra mit Boni belohnt, ist also besonders wertvoll
Wer krank, alt, schwach ist – ist nicht mehr wertvoll – im Gegenteil kostet Geld und Ressourcen
Es klingt brutal, weil es das ist.
Und viele von uns haben diese Denkweise verinnerlicht. Wir fragen uns ständig, ob wir genug tun, genug geben, genug darstellen. Und vergessen dabei:
Wert sollte keine Währung sein, die wir verdienen müssen. Die Wahrheit in unserer Gesellschaft ist leider jedoch eine Andere, und so sind so Gedanken “ich bin wertlos” recht schnell im eigenen Kopf.
Beziehungswert – Bedeutung für andere
In Beziehungen verschiebt sich der Maßstab.
Du bist vielleicht kein Star, keine Führungskraft, kein Held. Aber Du bist für jemanden das Wichtigste auf der Welt.
Weil Du zuhörst. Weil Du da bist. Weil Du ehrlich bist.
Weil Du jemandem bedeutest.
Wert entsteht hier nicht durch Leistung, sondern durch Verbindung.
Und diese Art von Wert lässt sich nicht zählen – nur spüren.
Spiritueller Wert – Du bist wertvoll, weil Du bist
Und dann gibt es noch eine tiefere Dimension.
Die, in der Du wertvoll bist, weil Du existierst. Punkt.
Viele spirituelle Wege sagen: Jeder Mensch trägt einen göttlichen Funken, einen unverlierbaren Kern. Er ist nicht „mehr“ oder „weniger“ – er ist einfach. Und in diesem Sein liegt der Wert.
Das klingt für manche zu weich. Aber ich finde: Es ist radikal klar.
Denn wenn das stimmt, dann ist niemand je wertlos.
Auch nicht der Gescheiterte. Der Verletzte. Die Stille. Du.
Auch nicht ich – in dem Moment, als ich mich so gefühlt habe.
Die Kränkung hat es mir gezeigt
Als ich da saß, mit diesem Gefühl von „Ich bin nichts wert“, war es nicht die Wahrheit.
Es war eine alte Wunde, die sich gemeldet hat.
Ein uralter Glaubenssatz, der noch irgendwo in mir lebt – obwohl ich es besser weiß.
Und genau deshalb ist es so wichtig, über Wert zu sprechen.
Nicht theoretisch. Sondern existenziell. Denn:
Wenn Du Deinen Wert nicht kennst, bist Du anfällig für jede Form von Bewertung von außen.
Und Du?
- Was ist Dein Wert – wenn Du alles Äußere wegnimmst?
- Wenn niemand zuschaut? Wenn Du nichts beweisen musst?
- Spürst Du, dass Du wertvoll bist – oder suchst Du noch nach dem Beweis?
Der nächste Abschnitt wird genau dort ansetzen – beim Selbstwert, dieser so fragilen, aber heilbaren inneren Instanz.
3. Selbstwert – Was glaubst Du über Dich?
Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was wir sind,
dem, was wir fühlen,
und dem, was wir glauben, wert zu sein.
Und dieser Unterschied ist entscheidend.
Selbstwert ist kein Fakt – sondern ein inneres Erleben
Du kannst alles „richtig“ machen. Gebend, stark, klug, hilfsbereit sein –
und Dich trotzdem wertlos fühlen.
Warum?
Weil Selbstwert nichts mit äußeren Tatsachen zu tun hat.
Sondern mit inneren Überzeugungen, oft tief vergraben, oft unbemerkt übernommen.
Vielleicht wurdest Du als Kind wenig gesehen.
Vielleicht hast Du gelernt: Nur wenn Du funktionierst, bist Du richtig.
Vielleicht war immer jemand besser, lauter, braver – und Du hast geschlossen:
„Ich bin nicht genug.“
Das bleibt hängen.
Selbstwert ist die Geschichte, die Du Dir über Dich selbst erzählst.
Selbstwert ist nicht konstant – er schwankt
Selbstwert ist keine feste Größe. Kein Besitz. Kein Zustand, den man einmal erreicht und dann für immer behält.
- Manchmal fühlen wir uns stark, verbunden, sicher.
- Und dann reicht ein Blick, ein Satz, ein Fehler – und alles kippt.
Das heißt nicht, dass Du schwach bist.
Das heißt: Du bist ein Mensch.
Mit offenen Stellen. Mit alten Wunden. Mit lebendiger Tiefe.
Selbstwert kann wachsen – wenn Du hinsiehst
Die gute Nachricht ist:
Selbstwert ist veränderbar. Er kann reifen, heilen, sich neu formen.
Nicht durch Affirmationen. Nicht durch Selbstoptimierung.
Sondern durch echte Begegnung mit Dir selbst.
- Indem Du anerkennst, was in Dir lebt.
- Indem Du beginnst, freundlich auf Dich zu schauen.
- Indem Du alte Stimmen entlarvst – und neue Worte findest.
Der Selbstwert wächst dort, wo Du Dich selbst halten lernst. Auch im Zweifel. Auch in der Scham. Auch im Versagen.
Ich habe es gespürt – und nicht verdrängt
Als dieses alte Gefühl kam – „Ich bin nichts wert“ – habe ich es nicht analysiert oder übergangen. Ich habe es zugelassen. Und dabei gemerkt: Es will nicht die Wahrheit sagen. Es will gesehen werden.
Das ist für mich Heilung:
Nicht, nie mehr zu zweifeln –
sondern trotz Zweifel innerlich zu bleiben.
Und Du?
- Was glaubst Du wirklich über Dich?
- Wann fühlst Du Dich wertvoll – und wann nicht?
- Wem gibst Du die Macht, über Deinen Wert zu bestimmen?
Wenn Du willst, stell Dir diese Fragen nicht nur im Kopf, sondern im Körper.
Spüre sie in Dein Herz, Deinen Bauch, Deinen Atem.
Dort beginnt die Wahrheit. Und von dort beginnt der Weg zurück zu Dir.
Abschlussgedanke
Einzigartigkeit ist Fakt.
Wert ist die Beziehung.
Selbstwert ist Dein inneres Zuhause.
Und manchmal muss man sich daran erinnern – oder neu hineinleben.
In Verbundenheit,
Heike Engel
8 Antworten
Liebe Heike
Danke für Deinen sehr berührenden Beitrag! 🌸
Viele Grüße Andrea
Wenn es ankommt, freut es mich sehr. Viele Grüße, Heike
Liebe Heike
Danke dass du dieses Thema liebevoll beleuchtet und durchfühlt hast.
Ja auch ich kenne das!
Mein Mantra aus der Werte-Falle :
“ICh BIN in meiner Mitte,meine Mitte bin ich, ICH BIN ”
Und das ist genug !!!
Meine Lehrmeister:
Kinder, wenn sie noch nicht er-zogen sind und Tiere, z.B.ein Igel
Liebe Grüße
Liebe Monika, ich glaube, dass viele von uns dieses Gefühl kennen, nur redet man nicht darüber. “Man muss ja stark sein” – ist überwiegend der Glaube und wir wurden auch so erzogen. Die Angst ist, wenn man selbst zugibt dieses Gefühl zu haben, besteht die Möglichkeit, dass andere es ablesen und einen so behandeln. Deshalb redet niemand darüber. Ich finde es aber sehr wichtig, darüber zu sprechen, denn nur dann kann es in die Heilung kommen. Ich danke Dir, dass Du Dich auch zu Wort gemeldet hast und auch Deine wundervolle Botschaft dazu. Viele Grüße Heike
Danke für Deine tiefreichenden Worte, liebe Heike!
Ich möchte etwas beitragen, das bereits einige Zeit rumort in mir. Meine Überlebensstrategie ist das sich Anpassen. Ich fand es immer toll, wenn ich mich in alles ohne großen Widerstand dreinschicken konnte. Sich dem Fluss des Lebens hingeben ist ähnlich. Aber ich habe das Anpassen an sich als Herausforderung gesehen und nicht die Wachstumsherausforderung. Was jetzt bei mir hochkommt, ist die Heuchelei, die dabei entstand. Das Nicht offen sein, aus Angst, nicht geliebt, anerkannt, wertgeschätzt zu werden. Das Nach dem Munde reden. Damit betrog ich mein Umfeld und auch mich selbst. Das wird mir heute erst so langsam bewusst – mit 70 Jahren. Wer wird denn da wertgeschätzt oder nicht wertgeschätzt? Ja nicht Ich. Heute freue ich mich über ehrliche Worte, selbst, wenn sie mich verletzen. Alles ist besser als das Verschweigen, Vertuschen, Heucheln. Liebe Grüße Gabriele
Liebe Gabriele, vielen Dank für Deinen wertvollen Beitrag. Das tut so weh, wenn man die eigenen Überlebensstrategien ansehen muss. Jeden von uns hat welche. Sie waren wichtig, denn so kam man durch eine Zeit, in der es anders vielleicht nicht möglich war. Aber die bist Du nicht mehr, Du bist dem entwachsen, Du kannst es jetzt sehen! (manche dürfen das nie) Das ist so wertvoll, dann kann Veränderung geschehen. Du bist auf einem wundervollen Weg. Es ist eine schlimme Falle, die geliebt werden wollen Falle. Wie Du sagst, man verrät eigentlich sein Gegenüber genauso wie sich selbst.So großartig, dass Du sie durchschaut hast und spannende Entdeckung, was da alles schlummert in Dir, was für ein Mensch hinter dem Angepassten nun sich zeigt. Danke Dir, dass Du es mit uns geteilt hast. Dir alles Liebe Heike
Liebe Heike,
Der Beitrag Wert ist klasse. Ich gehe tief und kenne mein Inneres. Es ist für mich genau passend, Deine Worte und die feine Trennung des Begriffes Wert in allen Einzelheiten. Es fehlt nichts, sehr “wertvoll”, der Beitrag! Danke!
Gabriele
Liebe Gabriele, Deine Worte freuen mich. Ich liebe es tief zu gehen und die Dinge in allen Einzelheiten zu betrachten, zu drehen und zu wenden. Da kann man soviel spannendes entdecken. Immer wieder entdeckt man noch eine Facette oder einen Blickwinkel. Ich freue mich sehr, wenn Du es auch so empfindest. Viele Grüße Heike